Antworten auf Fragen
nach Gott und der Welt
sucht Michael N. Schenk
in seinem Buch
"ich bin so frei".


So wie ihn der Terroranschlag
vom 11. September 2001 hautnah
die Urgeschichte der Zerstörung
des Turms zu Babel spüren lässt,
laden den Leser immer neue Vergleiche
zum Mitdenken ein.

Leseprobe:

Wenige Tage vor dem Weihnachtfest 2001 wurden mir von mehreren Seiten Geschenke als kleine Begleiter mit auf die Reise in mein Krankenjahr nach Hamburg gegeben. Unter den Grüßen und Päckchen befand sich mir zur Freude ein zierlicher goldener Anhänger in der Form eines Ankers. Passend zu diesem Geschenk erhielt ich später in der Heiligen Nacht, als ich in eine dicke Jacke gehüllt gerade eine ausgedehnte Wanderung am Elbstrand unternahm, eine SMS-Nachricht via Handy: "Dein Glaube ist stark, Liebe hast du genug in dir. Nur bei der Hoffnung können wir noch nachhelfen …" Ein kleiner goldener Anker als sichtbares Zeichen der Hoffnung gerade in den so menschlich erfahrbaren Tagen der Hoffnungslosigkeit, die ich durch Krankheit erleben musste. Ich habe gestaunt über die Größe dieses winzigen Schmuckstückes, besonders über die tiefe Symbolik eines solchen Geschenks.

Die Hoffnung - vielleicht eine der vergessenen Vokabeln unseres heutigen Sprachgebrauchs, über die nachzudenken es sich lohnt. Wer denkt nicht zu allererst bei der Erwähnung der Hoffnung an die so genannte "paulinische Trias" von Glaube, Hoffnung und Liebe im ersten Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde im griechischen Korinth. Paulus' besondere Sorge und Liebe galt der von ihm gegründeten Stiftung im Namen Jesu Christi. In mehreren Briefen hat er versucht, gerade in personeller Abwesenheit dieser nahe zu bleiben. Verschiedene Schreiben beziehungsweise davon erhaltene Teile, unter anderem sein "Tränenbrief", wurden später zu den beiden Briefen an die Korinther zusammengefasst. Zu den schönsten, ja geradezu spirituellsten Gedanken von Paulus gehört wohl das "Hohelied der Liebe" im 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes, das gerne von jungen Paaren zu ihrer Trauung als neutestamentliche Lesung genommen wird. Das Hohelied der Liebe überrascht in Sprache und Wortwahl. Es offenbart den Menschen Paulus in einer besonderen Art. Zudem klingt es ungewöhnlich, fast fremd im Mund eines Mannes. Wenn überhaupt, dann können die niedergeschriebenen Gedanken in ihrer Tiefe nur als wirklich durchlebte Erfahrungen verstanden werden, die das Ergebnis der Weite und Größe allumfassender Liebe vermitteln wollen.

Es stellt sich mir aber die Frage, wie Paulus wohl sein "Lied der Hoffnung" anstimmen würde. Ich hätte es zu gerne gewusst. Ein Lied der Hoffnung als Summe durchstandener Momente von Dunkelheit, Bedrängnis und Ohnmacht. Es gibt wohl keinen Menschen auf unserem Globus, der nicht mehr oder weniger Strophen der Hoffnungslosigkeit mit zerrissenem oder verzweifeltem Herzen in den Himmel geschrieen hat. Die Steigerung solcher Nöte kann so weit gehen, dass am Ende sogar die Kraft zu einem letzten Stammeln fehlt. Schweigende Nacht ist dann das lauteste Lied erfahrener Hoffnungslosigkeit: eine schwermütige dumpfe Melodie ohne Ende, unhörbar gesungen für kein Ohr dieser Welt.

Paulus wird diese Momente gekannt haben, dessen bin ich mir sicher. Ob vor den Toren von Damaskus und in den Tagen danach, die ihn grundlegend veränderten, oder in den Stunden der Gefangenschaft und Enttäuschung. Die berühmte "Ginsterstrauch-Stunde" des Propheten Elija, der sich von den Menschen verfolgt wusste und letztlich von Gott verlassen fühlte und kraft- und mutlos geworden den Tod herbeisehnte, erzählt ebenso von einer solchen bitteren Erfahrung. Die äußerst nüchtern gehaltenen Verse im ersten Buch der Könige können wohl kaum die Seelennot des Elija widerspiegeln, der sich unter einem Ginsterstrauch in der Wüste nichts anderes mehr wünscht als die Erlösung durch den Tod.

Hoffnung enthält den inneren Blick auf einen Horizont, das unerschütterliche Wissen um eine Zukunft. Wer diesen Blick und dieses Wissen, die beide die Enge menschlichen Denkens und Fühlens sprengen, verliert, ist in der Tat zur Hoffnungslosigkeit verurteilt. Einen solchen Zustand zu durchleben ist gleichzusetzen mit dem Durchschreiten verlassener Täler und dem Erleiden tiefster seelischer Abgründe. Dabei fällt mir immer wieder ein Wort der Bildhauerin und Künstlerin Barbara Tappeser ein, die mir einmal sagte: "Was, glauben Sie, hat die Menschen im Konzentrationslager oder in Kriegsgefangenschaft am Leben erhalten? Es war nicht die Suppe allein. Es waren die Bilder der Hoffnung, die jeder in sich trägt." Werden dem Menschen diese Bilder oder wie oben beschrieben diese Lieder genommen, bleibt nur noch Leere, bleibt nur noch Sterben.

Denn das Wofür als Grundlage allen Lebens, die Sinnfrage schlechthin, scheint längst unter den Grabplatten der eigenen Existenz verfallen zu sein. Der Zustand der Hoffnungslosigkeit löst im Menschen eine resignative Schwingung von Krankheit, Bitternis, Kraftlosigkeit und Schwermut aus. Mehr noch, er erlebt am eigenen Leib die Standlosigkeit oder besser die Haltlosigkeit seines Lebens dann, wenn die letzten Anker seiner Hoffnungen ins Nichts zerrieseln. Dankbar, wirklich dankbar weil unverdient, gewann ich von so vielen bekannten und unbekannten Menschen in zahlreichen intensiven Gesprächen vertrauensvoll einen Blick in den inneren oft intimen Kern einer solchen von der letzten Hoffnung verlassenen Not. Ein Umstand, der mich oft zu Mitempfinden und Miterleben führte. Der aus einer solchen Art Agonie resultierende Verlust der Hoffnung blieb auch mir nicht erspart. Darum teile ich mit vielen Menschenschwestern und -brüdern das Durchschreiten dieses Schmerzes und fühle mich ihnen aufs Engste verbunden.

Die Heilung aus diesem bittersten Zustand menschlichen Erlebens, und darum hat Paulus im Gleichklang seiner Trias Recht, sind Glaube und Liebe. Wohl kaum können in menschlichen Worten die Tragweite und Bedeutsamkeit in oder aus den wohltuenden Bewegungen von Glauben und Liebe beschrieben werden, wenn diese in ihrer jeweils eigenen Gestalt die Hoffnungslosigkeit durchbrechen. Ein solches Wunder, wie ich es nennen möchte, geschieht leise, vielleicht bescheiden, ist dafür aber wirkmächtig im Zersprengen hoffnungsraubender Ketten. Interessanterweise kommen solche Anstöße meistens von außen, die die Schwärze von den inneren Augen zu nehmen vermögen. Die im Glauben und der Liebe erfahrenen Umarmungen, wenn ich diese wieder zulassen kann, mobilisieren im Menschen gewaltige Kräfte. Vor meinen eigenen Augen konnte ich diese geheimnisvolle Wandlung, das Schöpfen der Hoffnung in hoffnungslosesten Fällen, an den mir anvertrauten Menschen erleben.

Dabei habe ich das hoffnungsvolle Sterben meiner Großmutter immer wieder vor Augen. In den Tagen vor ihrem Tod und selbst in ihrem Sterbemoment hat mich diese schlichte Frau in der Weise ihres "Hinübergangs", wie der Sterbeprozess oft auch sehr zutreffend genannt wird, beeindruckt. Zweimal flüsterte sie mir in ihrem Dialekt zu: "Wie schön ist's wenn ma weiß, was kommt." Dabei schaute sie mit großen Augen in eine Welt, die mir noch verborgen blieb. Das Festhalten an einer wissenden, unerschütterlichen Hoffnung auf Leben in dieser paradoxen, geradezu lebensverneinenden Situation wurde ihr zum goldenen Anker. Müßig wäre die Frage nach dem Grund ihrer Haltung an dieser Stelle gewesen. Selbst wenn sie mir in ihren Worten versucht hätte eine Beschreibung dessen zu geben, was sie in diesem Moment als tragfähige Grundlage betrachtete, das zu einem solchen Bekenntnis führte, ich wäre an der äußeren Schwelle ihres Blickwinkels gestolpert. Hoffnung lässt sich letztlich nicht erklären. Sie ist ein grandioses und persönliches Phänomen in den weiten Räumen des Individuums.

Vergleichbar Ähnliches erlebte ich mit einem schwerkranken Krebspatienten, der auf zielsicherer Gerade auf seinen Tod hin sein Schicksal "selbst in die Hand nahm" und vom Sterbebett aus mit ablesbarer Hoffnung Würde und Sieg ausstrahlte.

Oder der 16-jährige Jugendliche, der nach abgebrochener Lehre und tief empfundener Perspektivlosigkeit immer wieder neue Gehversuche in seinem jungen Leben wagt. Die junge Frau, die an ihrer zerrüttenden Ehe und komplizierten Familienverhältnissen litt und unter tiefen Depressionen stehend durch das Zulassen der "Sonnenstrahlen" glaubender und liebender Menschen zu neuen Ufern aufbrechen konnte.

Daran wird deutlich, wie wichtig das gegenseitige Schenken in Freud und Leid den Menschen als soziales Wesen auszeichnet. Wenn dann falsche Fassaden weichen und Ehrlichkeit zur Hilfe für einen nächsten, wenn auch kleinen Schritt wird, wird das Geschenk der Nächstenliebe in einer manchmal so kalten Welt zur trostvollen und damit zur heilvollen Erfahrung. Das Schöpfen des Wassers aus der Quelle der Hoffnung geschieht immer in den eigenen Tiefen menschlichen Lebens. Es braucht aber oft die Begleitung und den Anstoß von außen.

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wie nirgendwo sonst im ausgewogenen Geben und Nehmen von Glaube, Hoffnung und Liebe die Berufung zum echten Menschsein deutlich wird. Nicht nur dem Empfangenden, auch dem Gebenden wird dieser Austausch zum echten Geschenk; wird der Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen zum Geschenk. Fast neige ich dazu, diesen Überlegungen Shakespeares Wort über die Gnade auf eine Ebene zu stellen, weil eine wiedergeborene Hoffnung durch Glaube und Liebe im Menschen dem Geschenk der Gnade gleich kommt. So lässt er den Kaufmann von Venedig sagen: "Die Art der Gnade weiß von keinem Zwang, sie träufelt wie des Himmels milder Regen zur Erde unter, zwiefach gesegnet: Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt."

Hier suche ich auch den ersten Anker der genialen Idee vom Menschen, die Gott am Anfang seiner Schöpfung erträumt hat. Die im Kreislauf eines Lebens durchlittenen, aber nie sinnlos durchstandenen Wegabschnitte füllen jeden einzelnen zu einer ganzheitlichen und einmaligen Gestalt. Der berühmte Wiener Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl konnte daher das Leben jedes Menschen als "Denkmal" bezeichnen. Von einer solchen Würde ausgezeichnet, wird der Anker der Hoffnung wider aller Hoffnungslosigkeit zum garantierten Halt selbst in den von keinem menschlichen Verstand mehr begreifbaren Situationen. Ist ein solches Unikat der Würde, das jeder einzelne Mensch ist, nicht wert, sich mitzuteilen von Lebensabschnitt zu Lebensabschnitt? Wie vielen könnte durch solche lebendigen Bausteine der Hoffnung zur rechten Zeit ein goldener Anker in schweren Stunden gereicht werden?

Ich zolle an dieser Stelle ausdrücklich meine Hochachtung all jenen, die es immer wieder neu vermögen, ein Lied der Hoffnung anzustimmen, Zeugnis für die wandelnde Kraft der Hoffnung abzulegen. Dazu zähle ich in fast schon universalerweise das Lied "We are the world" von Michael Jackson und Lionel Richie, das von so vielen gesungen, für mich zu einer hoffnungsvollen Melodie geworden ist.
Darin heißt es unter anderem:

When you're down and out, there seems no hope at all,
but if you just believe there's no way we can fall.
Let us realize that a change can only come,
when we stand together as one.

Übersetzung:
Wenn du gänzlich unten bist und es überhaupt keine Hoffnung mehr zu geben scheint,
du aber doch glaubst, dass es keine Möglichkeit gibt, dass wir ganz fallen,
lass uns daran denken, dass nur dann eine Änderung kommen kann,
wenn wir als "eins" zusammenstehen.


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